Reinhard Peukert (2017)

Vortragsfolien / Vortrag

Hauptvortrag zur Situation, den Belastungen und den Ambivalenzen von Geschwistern bei der Fachtagung der Landesverbände der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in Halle.

Erweiterungen auf Basis des Vortrags „Erlebte, gelebte, erlittene Verantwortung“ bei der APK-Tagung 2016.

Audiomitschnitt

Der Vortrag wurde mitgeschnitten und kann hier (leicht gekürzt) aufgerufen werden.

Miriam Munkert, Reinhard Peukert (2009)

Kurzfassung zur Auswertung der Gespräche anlässlich des 1. hessischen Geschwistertreffens auf der Basis der Diplomarbeit von Miriam Munkert; Ausführliche Fassung: siehe nächster Artikel auf dieser Seite

Auszug:

Die psychosozialen Belastungsfaktoren der gesunden Geschwister sind vielfältig und offenbaren zugleich eine übereinstimmende Struktur.

Die Gefühle aller Geschwister dieser (und vorangegangener) Geschwistertreffen ihrer erkrankten Schwester bzw. ihrem erkrankten Bruder gegenüber sind von Zuneigung und Liebe geprägt, und von Dankbarkeit: Sie alle erleben das gemeinsame Aufwachsen mit ihnen als Bereicherung, die „… mich zu dem gemacht haben, wer ich heute bin.“

Die grundsätzliche Liebe und Zuneigung wird immer wieder auf eine harte Probe gestellt, die gesunden Geschwister stellten sich unweigerlich dieser Anforderung und verstanden die besondere Belastung als Herausforderung und nahmen sie an. Ein Bruder der hessischen Geschwistertagung brachte es auf den Punkt: „Sie fordern und sie fördern uns“.

Miriam Munkert, Reinhard Peukert (2009)

Auswertung der Gespräche anlässlich des 1. hessischen Geschwistertreffens auf der Basis der Diplomarbeit von Miriam Munkert

Aus den Vorbemerkungen:

Durch eine ausführliche Vorstellungsrunde entwickelten sich viele Erzählanstöße, durch die eine eigenständige und authentische Dynamik entstand. Die emotionale Offenheit der Teilnehmer war beachtlich; dadurch entstand eine intime Atmosphäre, die für alle hilfreich und nützlich erschien, da sie Aufrichtigkeit zuließ. …

Im Rahmen einer kleinen schriftlichen Befragung am Ende des Treffens äußerten alle Teilnehmer, „neue Informationen durch die Geschwistertagung erhalten zu haben“, während der sie „offen über ihre Gefühle sprechen konnten“; den „Erfahrungsaustausch mit den anderen Geschwistern“ erlebten sie als „hilfreich“, und sie empfanden die Tagung als „entlastende Unterstützung“.

Die emotionale Intensität in dieser Gruppe kann wahrscheinlich in diesen Zeilen nicht wiedergeben werden. Es sei aber angemerkt, dass viel geweint, aber auch gemeinsam gelacht und erleichtert aufgeatmet wurde.

Claudia Bach (2018)

Eine qualitative Studie. Masterarbeit an der Universität Kassel, Institut für Psychologie

In der Masterarbeit untersucht die Autorin die spezifischen Belastungen von Geschwistern, deren Schwester oder Bruder bereits seit vielen Jahren  (zwischen 17 und 51 Jahren) an schweren und chronifizierten Psychosen leiden. Sie stellt dar, welcher Art diese Belastungen sind, welche  langfristigen Auswirkungen sie haben können, welche Bewältigungsstrategien die betroffenen Menschen entwickelt haben und zeigt auf, in welchen Bereichen nach ihren Erkenntnissen Forschungsbedarf besteht.

Cornelia Zöberlein (2017)

Bachelorarbeit an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München – Studiengang Soziale Arbeit

Zitat aus der Schlussbetrachtung:

Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Lebenssituation von Geschwistern psychisch Kranker erheblich durch die Erkrankung des Bruders bzw. der Schwester beeinflusst wird. Das subjektive Belastungserleben und die Formen der Bewältigung variieren zwar unter den Geschwistern, gemeinsam ist ihnen allerdings, dass sie ihrem Los nicht einfach ausweichen können. Die Beziehung zum kranken Geschwister bleibt lebenslang bestehen, unabhängig davon, ob sie den Kontakt pflegen oder ihn dauerhaft unterdrücken. Gelingt es Geschwistern die spezifische familiäre Situation als Herausforderung zu begreifen und sie anzunehmen, können daraus eine Stärkung der Persönlichkeit, ein Ausbau der Selbstregulationsmechanismen und allgemein der Resilienz, d.h. der Fähigkeit des erfolgreichen Umgangs mit belastenden Ereignissen und Lebensumständen, erwachsen. Aber selbst dann, wenn sich die Geschwister den Herausforderungen im Umgang mit ihrem psychisch kranken Bruder bzw. ihrer psychisch kranken Schwester stellen und diese als Teil ihres Lebens akzeptieren, bleibt es ein lebenslanger Prozess, die Balance zwischen Unterstützung und Abgrenzung zum kranken Familienmitglied zu finden.

Manfred Ziepert

Vortrag bei der Veranstaltung „20 Jahre Selbsthilfegruppe für Angehörige von psychisch kranken Menschen in Mainz“ am 16. Mai 2006

Viele, vielleicht die meisten Schwestern und Brüder mit einem erkrankten Geschwister erleben und durchleben diese Gefühle früher oder später. Dr. Ziepert zeigt, warum es so wichtig ist, diese Gefühle zuzulassen und dass sie, wenn wir richtig damit umgehen, Kraft geben, um uns vor Bitterkeit und Resignation zu schützen.

Auszug:

Vielleicht hat mancher bei diesem Thema gedacht: „Wieso gerade Trauer und Zorn? Soll das erstrebenswert sein? Gelungenes Leben – darunter verstehe ich Freude, Glück, Harmonie, Erfolg, Hoffnung, Sinnerfüllung. Dafür lebe ich doch – dass mir das im Leben wenigstens ein bisschen gelingt.“
Genauso sehe ich das auch. Es wird in meinem Vortrag um alles gehen, was das Leben lebenswerter macht. Weshalb nun dieses Thema? Trauer und Zorn – genau dies erleben wir, wenn das Leben gerade nicht gelingen will. Aber: Trauer und Zorn sind ganz wichtige Triebkräfte, die uns helfen können, wieder zu einem lebenswerten Leben zurückzufinden. Das heißt: sie sind nicht unser eigentliches Lebensziel, aber wir brauchen sie von Zeit zu Zeit, um das Ziel erreichen zu können. Deshalb: Trauer und Zorn sind lebensstiftende Kräfte – zumindest können sie es sein, wenn wir sie als Chance begreifen und wenn wir es schaffen, diese Chance zu nutzen. Wir dürfen auf der einen Seite nicht zulassen, dass Trauer und Zorn unser eigentlicher Lebensinhalt werden – was leider viel zu oft passiert. Andererseits dürfen wir sie nicht vermeiden, sondern wir müssen lernen, etwas damit anzufangen.

Holger Simon (2010)

Unveröffentlichte Masterthesis. Hochschule RheinMain Fachbereich Sozialwesen Entwicklung eines quantitativen Fragebogens auf Grundlage einer Analyse eigener und bereits vorliegender qualitativer Forschungsergebnisse und der Literatur.

In seinem Fazit stellt der Autor eine Reihe von Fragen, die noch immer unbeantwortet sind:

  1. Welche Aspekte in der Beziehung zu ihren psychisch erkrankten Geschwistern und welche Konflikte und Rollenverschiebungen bez. ihrer Eltern erleben die gesunden Geschwister als besonders belastend?
  2. Welche Risikofaktoren bez. einer gesunden Entwicklung im Kindes- und Jugendalter bedürfen bei Geschwistern psychisch Erkrankter besonderer Beachtung?
  3. Welche konkreten Einflüsse hat die Erkrankung auf Familiengründung bzw. die Familie des gesunden Geschwisters?
  4. Inwieweit fordern die gesunden Geschwister institutionelle Unterstützung zu ihrer Entlastung ein bzw. wie können professionelle Helfer die besonderen Bedürfnisse von Geschwistern psychisch Kranker berücksichtigen?
  5. Welche Rolle spielt Alter, Altersunterschied und Zeitpunkt der Erkrankung?
  6. Wird ein spezifisches professionelles Hilfeangebot für Geschwister benötigt?
  7. Bildung der persönlichen Identität, Individuationsprozesse, Entwicklung von Sozialverhalten und Geschwisterrivalität sind wichtige Punkte der frühen und mittleren Kindheit und der Adoleszenz -> können Störungen entstehen?
  8. Welche Auswirkungen auf Aggressives Sozialverhalten, delinquentes Sozialverhalten, Geschlechtsrollenverhalten, Sexualverhalten können erfasst werden?
  9. Dimensionen der Geschwisterbeziehungen sind: Wärme bzw. Nähe, Rivalität, Konflikt und relative Macht bzw. Status –> welche Auswirkungen hat eine Erkrankung?
  10. Welche Auswirkungen haben kritische Lebensereignisse auf die Beziehung zwischen einem gesunden und einem kranken Geschwister: Krankheiten, Heirat eines Geschwisters, Erkrankung und zunehmende Pflegebedürftigkeit der alten Eltern, Tod der Eltern, Hilf an in Not geratene oder bedürftige Geschwister, Diskrepanzen aufgrund unterschiedlicher, beruflicher Entwicklungen, Bevorzugung eines Geschwisters durch die Eltern, Enttäuschung von Erwartungen, Unterschiedliche Entwicklung der Wertorientierung
  11. Wie wirkt sich die zentrale Entwicklungsaufgabe der Versorgung und Betreuung der alten Eltern auf die Beziehung aus und welche besonderen Belastungen bestehen für die Beteiligten?

Rita Schmid, Reinhard Peukert (2003)

Protokoll vom 1. Geschwistertreffen in Deutschland am 21.06.2003 in Potsdam

Auf den ersten Blick erscheint es verblüffend, dass bereits beim ersten spontanen Treffen von 20 Geschwistern und einigen Müttern und Partnerinnen von psychisch Erkrankten in Deutschland am 21. Juni 2003 in Potsdam nahezu alle Gesichtspunkte zur Sprache kamen, die später in den wenigen deutschsprachigen Studien und bereits wesentlich früher in den zahlreichen Studien aus dem angelsächsischen Raum als die zentralen und prägenden Erfahrungen von Geschwistern identifiziert wurden. Auf den zweiten Blick jedoch erscheint dieser erste Austausch zwischen den Geschwistern in Deutschland wie ein Mikrokosmos, in dem keineswegs zufällig die vielfältigen Belastungen und die positiven Herausforderungen benannt wurden.

Wie Geschwister unser Leben prägen

Katrin Heise im Gespräch mit Geschwisterforscher Hartmut Kasten und Autorin Susann Sitzler sowie Zuhörer*innen

Deutschlandfunk Kultur; Sendung vom 01.12.2018

Hartmut Kasten:
„Das Besondere an der Geschwisterbeziehung ist das Schicksalhafte. Die Prägung durch Brüder und Schwestern ist mindestens so stark wie durch die Eltern. Oft bleibt auch die Rollenverteilung ein Leben lang erhalten – im Guten wie im Schlechten.“

Susann Sitzler:
„Geschwister sind in unserem Inneren zu Hause.“
„Mit einem Bruder oder einer Schwester empfinden wir Gefühlspremieren wie Liebe, Wut, Freude, Eifersucht oder Zusammengehörigkeit. Was wir mit ihnen erleben, wird zum Maßstab für unser späteres Leben.“

Miriam Munkert (2008)

Diplomarbeit FH Wiesbaden • University of Applied Sciences, Fachbereich Sozialwesen, Studienbereich Soziale Arbeit

Ausschnitt aus dem Abschnitt: „Persönliche Einschätzung“

Während der Auseinandersetzung mit dieser Arbeit rückte für mich folgende Frage in den Vordergrund:
Wie viel Verantwortung wird dem Erkrankten selbst zugesprochen?
Oder besser gesagt:
Können die gesunden Geschwister oder deren Familie die Last der Verantwortlichkeit nicht ein Stück weit an den Erkrankten selbst zurückgeben?

Die besonders tief greifende Belastung durch Schuldgefühle entwickelte sich hauptsächlich durch die gefühlte Verantwortung für den erkrankten Bruder oder die Schwester. Das Gefühl, immer für ihn/sie da sein zu müssen, den nächsten Suizidversuch verhindern zu können oder für seine Lebenszufriedenheit verantwortlich zu sein, sind Beispiele hierfür. Die Schuldgefühle entstanden dadurch, dass die Geschwister das Gefühl hatten, stellenweise versagt oder nicht genug getan zu haben.

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