Als EUFAMI-Mitglied berichtet Spyros Zorbas aus Europa, aber auch über die griechische Angehörigenbewegung EPIONI und über „Athen’s Siblings“.
Hauptvortrag zur Situation, den Belastungen und den Ambivalenzen von Geschwistern bei der Fachtagung der Landesverbände der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in Halle.
Erweiterungen auf Basis des Vortrags „Erlebte, gelebte, erlittene Verantwortung“ bei der APK-Tagung 2016.
Der Vortrag wurde mitgeschnitten und kann hier (leicht gekürzt) aufgerufen werden.
Auszug:
Die psychosozialen Belastungsfaktoren der gesunden Geschwister sind vielfältig und offenbaren zugleich eine übereinstimmende Struktur.
Die Gefühle aller Geschwister dieser (und vorangegangener) Geschwistertreffen ihrer erkrankten Schwester bzw. ihrem erkrankten Bruder gegenüber sind von Zuneigung und Liebe geprägt, und von Dankbarkeit: Sie alle erleben das gemeinsame Aufwachsen mit ihnen als Bereicherung, die „… mich zu dem gemacht haben, wer ich heute bin.“
Die grundsätzliche Liebe und Zuneigung wird immer wieder auf eine harte Probe gestellt, die gesunden Geschwister stellten sich unweigerlich dieser Anforderung und verstanden die besondere Belastung als Herausforderung und nahmen sie an. Ein Bruder der hessischen Geschwistertagung brachte es auf den Punkt: „Sie fordern und sie fördern uns“.
Aus den Vorbemerkungen:
Durch eine ausführliche Vorstellungsrunde entwickelten sich viele Erzählanstöße, durch die eine eigenständige und authentische Dynamik entstand. Die emotionale Offenheit der Teilnehmer war beachtlich; dadurch entstand eine intime Atmosphäre, die für alle hilfreich und nützlich erschien, da sie Aufrichtigkeit zuließ. …
Im Rahmen einer kleinen schriftlichen Befragung am Ende des Treffens äußerten alle Teilnehmer, „neue Informationen durch die Geschwistertagung erhalten zu haben“, während der sie „offen über ihre Gefühle sprechen konnten“; den „Erfahrungsaustausch mit den anderen Geschwistern“ erlebten sie als „hilfreich“, und sie empfanden die Tagung als „entlastende Unterstützung“.
Die emotionale Intensität in dieser Gruppe kann wahrscheinlich in diesen Zeilen nicht wiedergeben werden. Es sei aber angemerkt, dass viel geweint, aber auch gemeinsam gelacht und erleichtert aufgeatmet wurde.
In der Masterarbeit untersucht die Autorin die spezifischen Belastungen von Geschwistern, deren Schwester oder Bruder bereits seit vielen Jahren (zwischen 17 und 51 Jahren) an schweren und chronifizierten Psychosen leiden. Sie stellt dar, welcher Art diese Belastungen sind, welche langfristigen Auswirkungen sie haben können, welche Bewältigungsstrategien die betroffenen Menschen entwickelt haben und zeigt auf, in welchen Bereichen nach ihren Erkenntnissen Forschungsbedarf besteht.
Zitat aus der Schlussbetrachtung:
Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Lebenssituation von Geschwistern psychisch Kranker erheblich durch die Erkrankung des Bruders bzw. der Schwester beeinflusst wird. Das subjektive Belastungserleben und die Formen der Bewältigung variieren zwar unter den Geschwistern, gemeinsam ist ihnen allerdings, dass sie ihrem Los nicht einfach ausweichen können. Die Beziehung zum kranken Geschwister bleibt lebenslang bestehen, unabhängig davon, ob sie den Kontakt pflegen oder ihn dauerhaft unterdrücken. Gelingt es Geschwistern die spezifische familiäre Situation als Herausforderung zu begreifen und sie anzunehmen, können daraus eine Stärkung der Persönlichkeit, ein Ausbau der Selbstregulationsmechanismen und allgemein der Resilienz, d.h. der Fähigkeit des erfolgreichen Umgangs mit belastenden Ereignissen und Lebensumständen, erwachsen. Aber selbst dann, wenn sich die Geschwister den Herausforderungen im Umgang mit ihrem psychisch kranken Bruder bzw. ihrer psychisch kranken Schwester stellen und diese als Teil ihres Lebens akzeptieren, bleibt es ein lebenslanger Prozess, die Balance zwischen Unterstützung und Abgrenzung zum kranken Familienmitglied zu finden.
Viele, vielleicht die meisten Schwestern und Brüder mit einem erkrankten Geschwister erleben und durchleben diese Gefühle früher oder später. Dr. Ziepert zeigt, warum es so wichtig ist, diese Gefühle zuzulassen und dass sie, wenn wir richtig damit umgehen, Kraft geben, um uns vor Bitterkeit und Resignation zu schützen.
Auszug:
Vielleicht hat mancher bei diesem Thema gedacht: „Wieso gerade Trauer und Zorn? Soll das erstrebenswert sein? Gelungenes Leben – darunter verstehe ich Freude, Glück, Harmonie, Erfolg, Hoffnung, Sinnerfüllung. Dafür lebe ich doch – dass mir das im Leben wenigstens ein bisschen gelingt.“
Genauso sehe ich das auch. Es wird in meinem Vortrag um alles gehen, was das Leben lebenswerter macht. Weshalb nun dieses Thema? Trauer und Zorn – genau dies erleben wir, wenn das Leben gerade nicht gelingen will. Aber: Trauer und Zorn sind ganz wichtige Triebkräfte, die uns helfen können, wieder zu einem lebenswerten Leben zurückzufinden. Das heißt: sie sind nicht unser eigentliches Lebensziel, aber wir brauchen sie von Zeit zu Zeit, um das Ziel erreichen zu können. Deshalb: Trauer und Zorn sind lebensstiftende Kräfte – zumindest können sie es sein, wenn wir sie als Chance begreifen und wenn wir es schaffen, diese Chance zu nutzen. Wir dürfen auf der einen Seite nicht zulassen, dass Trauer und Zorn unser eigentlicher Lebensinhalt werden – was leider viel zu oft passiert. Andererseits dürfen wir sie nicht vermeiden, sondern wir müssen lernen, etwas damit anzufangen.
In seinem Fazit stellt der Autor eine Reihe von Fragen, die noch immer unbeantwortet sind:
Auf den ersten Blick erscheint es verblüffend, dass bereits beim ersten spontanen Treffen von 20 Geschwistern und einigen Müttern und Partnerinnen von psychisch Erkrankten in Deutschland am 21. Juni 2003 in Potsdam nahezu alle Gesichtspunkte zur Sprache kamen, die später in den wenigen deutschsprachigen Studien und bereits wesentlich früher in den zahlreichen Studien aus dem angelsächsischen Raum als die zentralen und prägenden Erfahrungen von Geschwistern identifiziert wurden. Auf den zweiten Blick jedoch erscheint dieser erste Austausch zwischen den Geschwistern in Deutschland wie ein Mikrokosmos, in dem keineswegs zufällig die vielfältigen Belastungen und die positiven Herausforderungen benannt wurden.
Ausschnitt aus dem Abschnitt: „Persönliche Einschätzung“
Während der Auseinandersetzung mit dieser Arbeit rückte für mich folgende Frage in den Vordergrund:
Wie viel Verantwortung wird dem Erkrankten selbst zugesprochen?
Oder besser gesagt:
Können die gesunden Geschwister oder deren Familie die Last der Verantwortlichkeit nicht ein Stück weit an den Erkrankten selbst zurückgeben?
Die besonders tief greifende Belastung durch Schuldgefühle entwickelte sich hauptsächlich durch die gefühlte Verantwortung für den erkrankten Bruder oder die Schwester. Das Gefühl, immer für ihn/sie da sein zu müssen, den nächsten Suizidversuch verhindern zu können oder für seine Lebenszufriedenheit verantwortlich zu sein, sind Beispiele hierfür. Die Schuldgefühle entstanden dadurch, dass die Geschwister das Gefühl hatten, stellenweise versagt oder nicht genug getan zu haben.
Einladung und Anmeldung für den Workshop am 8. und 9.10.2022
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