Beiträge in: Wissenschaftl. Literatur

Manfred Ziepert

Vortrag; gehalten bei der Jahrestagung des Landesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in Rheinland-Pfalz im November 1999

Fast alle Angehörigen verspüren diese Ambivalenz; auch bei allen Treffen von Geschwistern und in unserem Forum spielt sie immer wieder eine Rolle. Dr. Ziepert legt dar: „Liebe und Abgrenzung – ein Widerspruch? Nein, im Gegenteil.“ Und er geht auf die Gefühle ein, die eine Abgrenzung behindern: Ohnmacht und Hilflosigkeit, Schuldgefühle, vermiedene Trauer und unterdrückter Zorn.

Reinhard Peukert (2018)

Psychiatrische Praxis, 45(2), 106-110. Der vollständige Artikel ist kostenpflichtig.

Einleitung:

Am 6. Mai 2017 haben sechs Geschwister – fünf Frauen und ich selbst – das Netzwerk Geschwister psychisch kranker Menschen ins Leben gerufen und sofort eine Homepage mit einem Forum sowie verfügbarer Literatur eingerichtet. Wir waren und sind überzeugt: Es ist Zeit, dass wir Geschwister uns endlich öffentlich zu Wort melden.

Vor fast 15 Jahren habe ich selbst (damals bereits seit 25 Jahren Psychiatrie-Profi) begonnen, mich auf mein „Bruder-Sein“ zu besinnen. Um nicht allein darüber nachzudenken, ob und wie dies mein Leben (mit-)beeinflusst hat, habe ich mich zuerst in Berlin (2004), dann in Wiesbaden, in Hamburg und in Halle mit Geschwistern getroffen – heute gibt es erfreulicherweise sich regelmäßig treffende Gruppen in Hamburg, Berlin und München (Anschriften, Treffen etc. finden Sie auf unserer Homepage). Diese eigenständigen Gruppen sind entstanden, da sich die üblichen Angehörigengruppen als nicht hilfreich für Geschwister erwiesen haben. Die dort vor allem von Eltern eingebrachten Fragen und Themen sind nicht die von uns Geschwistern – gleichwohl sehen wir natürlich die großen Belastungen unserer Eltern. Neben den eigenen Erfahrungen sowie denen aus diesen Gruppentreffen gehen in die folgenden Überlegungen die Ergebnisse der drei deutschsprachigen empirischen Untersuchungen ein.

Zu diesem Artikel gibt es einen Nachtrag unter dem Titel: „Die Beziehung des erkrankten Kindes zu seinem gesunden Geschwister ist eine protektive Ressource!“ Unten der Link zum Aufsatz zu diesem bisher eher wenig beachteten Aspekt.

Reinhard Peukert (2017)

veröffentlicht in Psychosoziale Umschau 3/2017, S. 26

Einleitung:

Erst seit Kurzem melden sich Brüder und Schwestern psychisch erkrankter Menschen als eigenständige Gruppe mit ureigenen Problemen und Anliegen in der Angehörigenselbsthilfe zu Wort, dabei zeigen die wenigen Studien zu deren Situation: Die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds bringt die gesamte Familie in Not –, aber es sind die Schwestern und Brüder, deren Rolle, Funktion und Bedeutung in der Familie am stärksten verändert werden. Sie sind es auch, die am seltensten vom Hilfesystem wahrgenommen werden und in ihren Familien in den Hintergrund rücken: Die gemeinsamen Eltern sind vollauf mit der Problematik der erkrankten Schwester bzw. des erkrankten Bruders beschäftigt – dies ist für die Eltern ein unvermeidbarer und zugleich belastender Tatbestand.

Gagi K. (2017)

veröffentlicht in Psychosoziale Umschau 3/2017, S.27

Neuerdings überkam mich wieder Panik. Panik, dass es dich nicht mehr gibt und ich die Scherben aufsammeln muss und alleine entscheiden muss, was nun mit meinem Bruder passiert.

Er bekommt keine Rente, besucht keinen Arzt, nimmt keine Hilfe an, geht nicht raus. …

Reinhard Peukert (2017)

Vortrag bei der Jahrestagung der APK "Verantwortung übernehmen" am 7. und 8. Nov. 2016

Zitat aus der Tagungsdokumentation:

Ein zentrales Ergebnis der vorliegenden Studien sowie meiner Gespräche vorne weg: Die Geschwister psychisch erkrankter Schwestern und Brüder fühlen sich häufig in ihren Herkunftsfamilien übersehen, aber auch in gemischten Angehörigengruppen; im Umgang mit professionellen Helfern geht die Einschätzung von „übersehen“ bis zu „missachtet“.

Thomas Bock, Stefanie Fritz-Krieger, Karen Stielow (2008)

veröffentlicht in Sozialpsychiatrische Information, 38(1), 23-31

Ausschnitt: Diskussion und Ausblick

Die Situation der Geschwister wird durch mangelhafte Gesprächsfähigkeit in der Primärfamilie und mangelhafte Gesprächsbereitschaft der Behandler sowie durch zusätzliche äußere Ereignisse erheblich belastet. Die eigene Rolle wird häufig als zwiespältig erlebt; sie ist gekennzeichnet von hoher Verantwortlichkeit, sowie Scham- und Angstgefühlen. Der Behandlungsbeginn entlastet die Geschwisterbeziehung, verstärkt andererseits aber (auch bei den Geschwistern) das Risiko der (Selbst-)Stigmatisierung sowie die Angst, selbst zu erkranken.

Die Qualität der Geschwisterbeziehung vor der Erkrankung ist meist wesentlicher Indikator für die Zeit danach. Ein direkter Kontakt zu den Behandlern kommt im Regelfall nicht zustande; das prägt das Bild der Psychiatrie als nicht hilfreich. Hilfe wird meist auch nicht bei der Primärfamilie, sondern bei Freunden und Partnern gefunden. Dabei geht es vor allem um die Überwindung von Schuld- und Angstgefühlen sowie um die Relativierung der eigenen Verantwortlichkeit. Gleichzeitig erleben viele Geschwister die eigene Situation im Nachhinein auch als positive Herausforderung; dazu passt, dass ein relativ hoher Anteil später einen sozialen Beruf ergreift. Welche Rolle Alter, Altersunterschied und Zeitpunkt der Erkrankung haben, muss in späteren Untersuchungen geklärt werden.

Die Perspektive der Geschwister lässt ein rein somatisches Krankheitskonzept fragwürdig erscheinen. Auch im Interesse der Geschwister sollte die Erstbehandlung früher als bisher, dabei aber umso vorsichtiger erfolgen, also weniger stigmatisierend, weniger stationär und weniger invasiv. Die Angehörigen und damit eben auch die Geschwister müssen früher wahrgenommen und gestützt werden.

Reinhard Peukert (2008)

Überlegungen im Anschluss an das Geschwistertreffen in Hamburg am 19.04.2008. Eine gekürzte Fassung ist in der Psychosozialen Umschau 3/2008 erschienen.

Ausschnitt:

Jede Zeit hat ihre Wunden und Lösungen …

Je nach dem,

  • wie lang der Zeitabstand zur Ersterkrankung ist, und
  • wie nahe das Ausscheiden der eigenen Eltern aus der Verantwortung zu erwarten oder bereits eingetreten ist

wandeln sich die Einflüsse, die sich aus der Erkrankung des Geschwisters auf die eigene Biographie ergeben.

Es wandeln sich die erlebten Belastungen, die wahrgenommenen Herausforderungen, die Wahrnehmung persönlicher Reifeprozesse aufgrund dieser Herausforderungen, aber auch der erkennbare sowie von den Geschwistern reklamierte Hilfebedarf verändert sich drastisch. Diese Wandlungen sind eingebettet in die unauflösbare Beziehung zur Schwester bzw. zum Bruder, wobei auch die Beziehung im biographischen Verlauf intensive Wandlungen erfährt.

Beate Schrank, Ingrid Sibitz, Markus Schaffer, Michaela Amering (2007)

veröffentlicht in Neuropsychiatrie, 21(3), 216-225

Zusammenfassung:

Anliegen: Die vorliegende Untersuchung vergleicht Geschwister von PatientInnen mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit Eltern und PartnerInnen bezüglich ihrer Nutzung von Information, Hilfe und einer routinemäßig stattfindenden expertengeleiteten Angehörigengruppe, ebenso wie hinsichtlich ihrer Belastung und Lebensqualität.

Methode: Insgesamt wurden 147 Angehörige stationär bzw. tagesklinisch aufgenommener PatientInnen mit einem Fragebogen zum gesundheitlichen Wohlbefinden, zu Problemen in der Familie, zur Lebensqualität und zur Nutzung von Hilfe-Angeboten erfasst.

Ergebnisse: Obwohl Geschwister insgesamt weniger Kontakt zu PatientInnen pflegten als Eltern und PartnerInnen, fühlten sie sich subjektiv kaum weniger stark belastet. Ihre Lebensqualität war jedoch weniger stark eingeschränkt als die der beiden anderen Gruppen. Geschwister erhielten im Vergleich zu Eltern und PartnerInnen signifikant weniger Information und Hilfe und wurden signifikant seltener zur Angehörigengruppe eingeladen.

Schlussfolgerungen: Geschwister von PatientInnen mit Schizophrenie sind in der Angehörigen-Arbeit eine vernachlässigte wenngleich subjektiv stark belastete Gruppe. Es scheint angebracht, dieser speziellen Gruppe Angehöriger vermehrte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Rita Schmid, Tanja Schielein, Hermann Spießl, Clemens Cording (2006)

Psychiatrische Praxis, 33(4), 177-183. Der vollständige Artikel ist kostenpflichtig.

Zusammenfassung:

Hintergrund: Bisherige Studien zu Auswirkungen einer psychischen Erkrankung auf die Familie des Erkrankten basieren meist auf Aussagen von Eltern des Erkrankten. Geschwister gehörten dagegen bislang zur Gruppe der „vergessenen Angehörigen”.

Methode: Es wurden narrative Interviews mit 37 Geschwistern stationär behandelter schizophrener Patienten durchgeführt. Die Auswertung erfolgte mittels einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse mit anschließender Quantifizierung.

Ergebnisse: Die 492 Aussagen der Geschwister konnten in 26 globalen Statements zusammengefasst und in fünf Kategorien abgebildet werden:
1. „Belastungen im Umgang mit dem erkrankten Geschwister” (36,2 %),
2. „Belastungen für die persönliche Lebenssituation der gesunden Geschwister” (26,8 %),
3. „Belastungen im Umgang mit der Herkunftsfamilie” (15,7 %),
4. „Belastungen im Umgang mit Institutionen und professionellen Helfern” (14,2 %),
5. „Belastungen im eigenen sozialen Umfeld” (7,1 %).
Die drei von den gesunden Geschwistern am häufigsten genannten Belastungen sind: Umgang mit der Krankheitssymptomatik (100 %), emotionale Belastungen (100 %) und Unsicherheit in der Einschätzung der Belastbarkeit des Erkrankten (81,1 %).

Schlussfolgerung: Geschwister schizophren Erkrankter sind in vielfältiger Weise belastet. Ihre besondere Situation sollte bei der ambulanten und stationären Behandlung mehr Berücksichtung finden.

Rita Schmid, Hermann Spießl, Reinhard Peukert (2004)

Psychiatrische Praxis 31(5), 225-227. Der vollständige Artikel ist kostenfrei zugänglich.

Zusammenfassung:

Eine chronische Erkrankung bedingt einerseits starke Belastungen und vielfältige Veränderungen im Leben des Betroffenen, andererseits greift sie häufig tief in das persönliche Leben und Erleben der Angehörigen ein und verändert die Dynamik der familiären Interaktionen. Vertraute Familienrollen werden durch eine Erkrankung erschüttert, jedes Familienmitglied wird mit neuen Anforderungen, ausgesprochenen und unausgesprochenen Erwartungen und Rollenverschiebungen innerhalb der Familie konfrontiert. Das alltägliche Miteinander wie auch der individuell je notwendige Abstand müssen von allen Familienmitgliedern neu gelernt werden – Konflikte bleiben hierbei meist nicht aus!

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