Reinhard Peukert (2003)
veröffentlicht in Psychosoziale Umschau, 4/2003, S. 35-37
Auszug:
Auf die Ähnlichkeit mit Kindern psychisch kranker Menschen folgt eine Phase, in der Geschwister offensichtlich – anders als z.B. viele Eltern – ein relativ unbelastetes Leben führen können, um dann im fortgeschrittenen Alter in einen für sie oft unerwarteten neuen Status zu wechseln: Werden die Eltern gebrechlich oder sterben sie, kommt man als Bruder oder Schwester möglicherweise sehr plötzlich in eine Verantwortung hinein, mit der man oder frau vorher nicht gerechnet hatte.
Hatten sich bislang die familiären Bindungen und Ansprüche auf die Eltern und Geschwister verteilt, könnte man plötzlich allein da stehen; lebte man bisher weit weg von der Herkunftsfamilie, fühlt man sich auf einmal genötigt, nach Hause zurück zu kehren, sich zur Verfügung zu stellen und dies und das zu regeln. Es treten die Fragen und Probleme auf, die Angehörige aus den Gruppen mit Eltern psychisch kranker Menschen nur zu gut kennen. Dann gilt, was ein Gruppenmitglied so formulierte: »Wir können so weit weg rennen wie wir wollen, wir können uns so viel abwenden wie wir wollen, unser kranker Bruder oder Schwester wird letztlich immer bei uns sein und uns immer auf dem Rücken sitzen«, und er fügte hinzu: »Und das ist gut so!«
Ich möchte ergänzen: Spätestens, wenn die Eltern nicht mehr sind, steigt er vom Rücken herab und steht mit fragendem Blick vor einem. Kann man und frau sich darauf vorbereiten?