Beiträge in: Sachbücher

Übersehen – überhört – übergangen

in den Familien und im Versorgungssystem

Reinhard Peukert, Leonore Julius (2022)

gerade erschienen

Mit dieser Monographie werden die Geschwister psychisch erkrankter Menschen (Mitgeschwister) über die Wahrnehmungsschwelle gehoben: ihre hohe emotionale Belastung ebenso wie ihre protektive bzw. stabilisierende Funktion für die erkrankte Schwester bzw. den erkrankten Bruder.

Im deutschsprachigen Raum ist die Situation der Mitgeschwister in den meisten Einrichtungen des psychiatrischen und psychosozialen Versorgungssystems ein weitgehend leeres Blatt, obgleich nicht wenige Mitgeschwister einer Hochrisikogruppe zuzurechnen sind, ähnlich wie Kinder mit einem psychisch erkrankten Elternteil.

Mitgeschwister erhalten Unterstützung beim Verstehen ihrer Situation und bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten; sie können ihre eigenen Erfahrungen in Beziehung setzen zu dem Erleben anderer Geschwister in einer ähnlichen Situation.

Eltern bekommen Einblick in die Familiendynamiken und einen Eindruck davon, was die häufig unauffälligen Geschwister des erkrankten Kindes umtreiben könnte.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Versorgungssystems werden die Situation der Mitgeschwister und deren Belange nahegebracht: sie können darauf in ihrer eigenen Berufspraxis reagieren – Problemlagen erkennen, aber auch die Potenziale der Mitgeschwister für die Behandlung und/oder Unterstützung der oder des Erkrankten.

Dozenten und Dozentinnen sowie Studierende werden umfassend über den Stand der internationalen Forschung und Hilfepraxis als Ausgangspunkt für eigene Studien informiert.

Die Monographie kann als Printausgabe zum Selbstkostenpreis bezogen werden und steht in unterschiedlichen Formaten kostenfrei zum Downloaden zur Verfügung.

Eine Geschichte von Liebe und Ohnmacht

Tina Bühler-Stehlé (2005)

Paranus Verlag

Rezension von Sibylle Prins in „Soziale Psychiatrie“:

Mutiger Erfahrungsbericht über zerstörerische Familie

Dieses Buch packt einen bereits auf den ersten Seiten. Dabei habe ich das normalerweise gar nicht gern, wenn der Ausgang einer erzählten Geschichte bereits zu Anfang vorweggenommen wird. Hier ist es hilfreich, zum Verständnis, auch, um die nun folgende Lektüre fortzusetzen, die nicht gerade „leichte Kost“ ist. Die Autorin berichtet von einem Familienhorror, der seinesgleichen sucht. Opfer dieses Szenarios ist für sie in allererster Linie ihr zwei Jahre älterer Bruder Swen, der nach jahrzehntelanger Isolation in grenzenloser Verwahrlosung in der Psychiatrie landet. –

„Um wahrgenommen zu werden, musste wohl oder übel einer von uns verrückt werden“ (S.77)

Als Leser/in dieses erschütternden Erfahrungsberichtes kann man sich kaum entscheiden, wer von den beiden Geschwistern das schwerere Leid zu ertragen hatte. Bühler-Stehlé schildert zunächst in kurzen Abschnitten, die als eine Art Briefe an den Bruder gerichtet sind, ihre gemeinsame Kindheit und Jugend. Anfangs ist der Bruder ihr geliebter Gefährte und bester Freund, ihr Vertrauter, Beschützer. Innerhalb sehr kurzer Zeit ändert sich das alles: der Bruder wird zu einem grausamen, unleidlichen Tyrannen, der seine ganze Familie, insbesondere aber die jüngere Schwester bis ins Letzte kontrolliert und zu bestimmen versucht. Alles kommt in dieser Familie vor: Gewalt, Vernachlässigung, sexueller, seelischer und sozialer Missbrauch. Dabei werden keineswegs die in manchen Kontexten hierüber üblichen Klischees bedient, sondern es werden zum Teil „unerwartete Wahrheiten“ sichtbar gemacht – erschreckend, und doch erleichternd, denn wann werden solche Geschichten erzählt? In späteren Jahren vegetiert der Bruder ohne irgendwelche Kontakte zur Außenwelt dahin. Alle Versuche der Schwester, zu ihm zu gelangen, etwas für ihn zu tun, scheitern. Bis dann die Ereignisse den Weg freimachen für – für eine Aufnahme des Bruders in die Psychiatrie.

Das Buch rührt auch an „Familienthemen“, die man aus weniger schrecklichen (?) Familien kennt: nach außen hin muss alles einen guten Eindruck machen, wie es intern zugeht, geht niemanden etwas an. Im Umgang mit der Außenwelt geben sich die Familienmitglieder auch ganz anders als untereinander. Über bestimmte, ja über die bestimmenden Themen darf nicht, um keinen Preis, gesprochen werden. Schon gar nicht mit Außenstehenden. Ein Mitglied wird von den anderen verraten, daraufhin aber selbst von der Familie als Verräter/in bezeichnet. Einer oder eine bestimmt, was wirklich ist, was die Wahrheit der Familie und der Welt ist. Da darf man sich hier und da auch in der eigenen, ganz anderen Biografie und Familiengeschichte berührt fühlen.

Welchen Sinn macht es, solch ein Buch zu lesen? Ist es mehr als bloß ein voyeuristischer Blick auf das, was sich hinter gut- bzw. großbürgerlichen Gardinen abspielen kann? Auf jeden Fall: Beim Lesen hat man manchmal das Gefühl, man möchte in die geschilderten Situationen eingreifen, dem Schrecken endlich ein Ende bereiten. Den in der Realität anwesenden Personen ging das, wie oben geschildert, offenbar nicht so. Wieso ist das so? Handelt vielleicht jede/r von uns in seinem Bereich, auf seine Weise genauso? Ferner: Schreckensgeschichten verlegen wir gern anderswohin – in ferne Länder, in andere Zeiten. Dass solche Dinge auch zu unserer hiesigen Wirklichkeit gehören, wollen wir nicht gern wissen. Sollten wir aber. Und schließlich: nicht an der Geschichte von Swen und seiner Schwester, wohl aber an der Gestaltung einer Welt, in der solche Lebensgeschichten möglich sind, sind wir alle beteiligt. Ein Buch für Leser/innen, denen man auch einmal etwas zumuten darf.

Warum Menschen so unterschiedlich sind und wie sich alle gut entwickeln können

W. Thomas Boyce (2019)

Droemer Verlag

Deutsche Ausgabe: März 2019

Verlagstext (Auszug):

Ein psychologisches Sachbuch über das Thema, warum wir Menschen uns unterschiedlich entwickeln. Menschen sind rätselhaft: Während der eine wie eine Orchidee feinfühlig auf alle Widrigkeiten reagiert, ist der andere robust und kommt problemlos wie ein Löwenzahn mit allen Herausforderungen zurecht.
Der international renommierte Kinder-Psychologe W. Thomas Boyce hat dieses Phänomen jahrzehntelang untersucht. Seine weltweit anerkannte Forschung zeigt, dass das Zusammenspiel von genetischen Voraussetzungen und Umwelteinflüssen darüber entscheidet, wie Menschen mit den Anforderungen ihrer Umwelt fertig werden und Stress verarbeiten.

Auszug aus Kapitel 1 – Eine Geschichte von zwei Kindern :

Dies ist die Geschichte einer Erlösung: eine Geschichte von Kindern, die sich wie Orchideen und Löwenzähne enorm darin unterscheiden, wie empfindsam sie auf Umweltbedingungen reagieren; eine Geschichte, die sich allmählich, aber kontinuierlich aus 25 Jahren Labor- und Feldforschung entwickelte; eine Geschichte, in die der Autor sehr involviert ist, sowohl wissenschaftlich als einer der Forscher, aus deren Arbeit sie stammt, als auch persönlich als eines der Kinder, für das sie lange, bevor es überhaupt eine „Geschichte“ gab, die man hätte erzählen können, schmerzlich und unausweichlich zur Realität wurde.

Das Leben als Bruder oder Schwester psychisch Erkrankter

Rezension von Reinhard Peukert

veröffentlicht in Psychosoziale Umschau 2/2019, S. 53

Klartext mit Gefühl und Respekt

Kein Leser wird sich der eindringlichen Präsenz des Textes entziehen können, die nicht zuletzt auf drei Expertisen der Autorin beruht: Jana Hauschild ist die Schwester von Sven, der an einer Borderline Persönlichkeitsstörung leidet, sie hat Psychologie studiert und ist heute eine gut beschäftigte Journalistin.
Diese drei Expertisen verbinden sich mit hoher Sachkenntnis und beeindruckender literarischer Kunstfertigkeit zu einem Buch, das für viele Lesergruppen ein gut zu rezipierender Gewinn sein wird – für die Geschwister, für deren Eltern, für weitere Familienangehörige, aber auch für professionelle Helfer. Selbst die psychisch erkrankten Geschwister werden von den Selbstäußerungen der vielen vorgestellten Geschwister profitieren, denn die Autorin redet zwar Klartext, aber niemals ohne einfühlsame Achtung jenen gegenüber, die als Geschwister oder Eltern am Leid der zu Wort-Kommenden direkt oder indirekt beteiligt sind.

Jana Hauschild hat mit vielen Geschwistern gesprochen, sie hat Geschwistergruppen besucht, die – spärliche – Literatur zu Geschwistern psychisch erkrankter Menschen studiert und sie hat die Selbstäußerungen von Geschwistern im Forum des GeschwisterNetzwerks verfolgt. Sie lässt den Leser auch teilhaben an ihrem eigenen Erleben. Sie offenbart uns ihre Gefühle der ungebrochenen Zuneigung, der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit, der tiefen Enttäuschung und der Angst um ihren innig geliebten Bruder, der ihren eigenen Lebensweg erkennbar beeinflusst.

Dieses Erleben verbindet sie mit ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern. Wenn sie über deren Leben berichtet merken wir: da war keine Interviewerin am Werk, die einem Leitfaden folgt; es treffen zwei Menschen aufeinander, die von Beginn an eine Gemeinsamkeit spüren – auch wenn die Lebenswege aller Beteiligten sehr unterschiedlich ausfallen.
In der plastischen Beschreibung dieser Lebenswege, der familiären Situationen sowie der tiefen gefühlsmäßigen Ambivalenzen, die fast jede Lebensäußerung und fast jede Entscheidungen der Geschwister so schwierig gemacht haben und noch machen erreicht Jana Hauschild ihr selbst gestecktes Ziel: „Unsere Geschichten sollen ein  großes Bild erzeugen, kein vollendetes, aber eines, das deutlich macht: Hier sind Menschen, die sich mehr Rückhalt, mehr Aufmerksamkeit oder mehr Unterstützung wünschen  – und diese mitunter dringend brauchen.“ (S. 23)

Neben lange zurückliegenden, im Seelenleben nach wie vor aktiven Erlebniswelten nehmen wir teil an den aktuellen Lebensumständen der Geschwister. Diese konnten für die Gespräche zwischen privaten Räumen oder einem öffentlichen Treff wählen. Die jeweilige Wahl, die zum Teil minutiöse Beschreibung des Ortes sowie weiterer Rahmenbedingungen des Gesprächs ergänzen die gesprochenen Worte zu einer geradezu physischen Präsenz der Geschwister.
Nur beiläufig sei angemerkt: Damit löst die Autorin zugleich einen Qualitätsstandard für narrative Interviews ein, nämlich bei allen Überlegungen auch die Aussagefähigkeit der räumlichen Kontexte zu beachten.

Sie findet eindringlich-prägnante Bilder für z.B. spannungsreiche, konfliktgeladene und/oder von Trauer, von Hilflosigkeit und/oder von Liebe und Nähe-Bedürfnis bei gleichzeitigem Bemühen um Abstand geprägte Gefühlsturbulenzen, die häufig zu einem beliebigen Zeitpunkt zugleich auftreten und die ganze Lebensabschnitte prägen können.  Andere Autoren (der Rezensent schließt sich hier mit ein) müssten viele beschreibende Worte verlieren, ohne diese Intensität je zu erreichen.

Solche Bilder hier zu zitieren würde sie aus ihrem Rahmen reißen. Einen Eindruck davon vermitteln Metaphern wie z.B. die vom „zerstörerischen Einschlag des Schicksals“, von der „Wucht, die ein Beben in Gang setzt“, von „mitunter zersplitterten Biographien“, von den „mal schwereren, mal leichteren Päckchen“, die manche „mit einiger Entfernung hinter sich her schleifen; andere halten sie fest an sich gedrückt.“ Sie spricht von der „einseitigen Seelsorgeleitung“, die die geschwisterliche Kommunikation auszeichnet und dem „blinden Fleck“ der Eltern und Profis.

Das Buch endet mit hilfreichen Hilfen für Geschwister. Dafür greift Jana Hauschild neben eigenen Überlegungen sowie die Erfahrungen aus Geschwistergruppen  auch auf englischsprachige Beratungsliteratur zurück. Viele Geschwister werden es ihr danken.

Ein sehr empfehlenswertes und gut lesbares Buch – für einen breiten Leserkreis.

Das Leben als Bruder oder Schwester psychisch Erkrankter

Jana Hauschild (2019)

Beltz Verlagsgruppe

Verlagstext:

Sie spielen meist nur die zweite Geige: Geschwister psychisch Erkrankter bleiben mit ihren Bedürfnissen und Erfolgen, ihren Sorgen und ihrer Angst oft allein. Manche ein Leben lang. Sie sind die geborenen Funktionierer, Sonnenkinder, Vermittler zwischen Eltern und Geschwistern. Die Beziehung zu ihrem erkrankten Geschwister ist komplex – mal haben sie einen ausgeprägten Schutzinstinkt, mal hegen sie Gram. Manche hat die Verantwortung stark gemacht, andere fühlen sich ihrer Kindheitsjahre beraubt.
Jana Hauschild gibt den erwachsenen Geschwistern eine Stimme. Mit großem Einfühlungsvermögen schildert die Psychologin Lebensläufe, spürt den Gefühlen der Übersehenen nach und begleitet sie auf ihrem Weg zu sich selbst.

Hinweis: Wenn Dir das Buch gefällt, kannst Du zu seiner Verbreitung beitragen, indem Du Bewertungen bei Online-Portalen wie z.B. Amazon abgibst.

Ein Comicbuch für Kinder ab 5 Jahren

Herausgeber: Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (2018)

Mit viel Erfahrung haben der Comiczeichner Uwe Heidschötter und der Kinderbuchautor Patrick Wirbeleit zu dem komplexen Thema „psychische Erkrankungen bei Kindern“ ein buntes und fröhliches Buch gestaltet. Der Erklärtext für Eltern und ältere Geschwister im Begleitbuch wurde vom Gründungsmitglied des GeschwisterNetzwerks, Prof. Dr. Reinhard Peukert verfasst.

Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) hat das Comicbuch mit einem Begleitbuch herausgebracht. Comic mit Begleitbuch konnte beim BApK kostenlos bestellt werden, ist inzwischen jedoch vergriffen. Inzwischen stellt der Herausgeber eine Download-Version zur Verfügung. 

Eine Familiengeschichte

Friederike und Kerstin Samstag (2017)

Psychiatrieverlag

Verlagstext:

Die Mutter eines psychisch erkrankten Sohnes und seine Schwester erzählen gemeinsam von den Erschütterungen durch die psychischen Krisen ihres Sohns beziehungsweise Bruders. In Briefwechseln und kurzen Texten erfahren wir vom Gefühl, selbst verloren zu gehen, vom Sichkümmern, vom Herumsitzen auf psychiatrischen Stationen, von unterschwelligen Vorwürfen der Pflegekräfte, vom Schrecken und der Sprachlosigkeit angesichts der Suizidgefahr. Ein ganzes Familiengefüge bricht auseinander und wird doch wieder eins. Ein literarischer, ehrlicher Einblick in das seelische Erleben von Angehörigen.

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